Der Roboter des Leonardo da Vinci | HNF Blog (2024)

2019 feiern wir den Künstler, Forscher und Ingenieur Leonardo da Vinci; er starb vor fünfhundert Jahren, am 2. Mai 1519, im Schloss Clos Lucé in Frankreich. Unter seinen Zeichnungen fanden sich auch Entwürfe für einen selbstfahrenden Wagen und für eine bewegte Ritterrüstung. Falls sie tatsächlich gebaut wurde, wäre sie der erste Roboter der Welt gewesen.

Leonardo da Vinci, wer kennt ihn nicht! Geboren wurde er am 15. April 1452 in der Toskana. Seine Talente legten seinen Lebensweg fest. Er wirkte als Maler, angewandter Künstler und Ingenieur in Florenz, Mailand und anderen italienischen Städten. Von 1513 bis 1516 war er im Vatikan tätig. Seine letzten Jahre verbrachte er in Frankreich; dort vollendete er sein wohl populärstes Werk, das Bildnis der Mona Lisa. Leonardo starb am 2. Mai 1519 im Schloss Clos Lucé bei Amboise an der Loire. Er gilt als Genie und archetypischer Renaissancemensch.

Leonardo da Vinci, gezeichnet von seinem Schüler und Erben Francesco Melzi. Das Bild befindet sich in der Kunstsammlung der britischen Krone.

Neben der künstlerischen Aktivität arbeitete Leonardo als Wissenschaftler. Die Ergebnisse seiner Forschungen wie seine übersprudelnden technischen Ideen legte er in Tausenden von Blättern nieder; rund 6.000 Seiten blieben erhalten. Die Texte verfasste Leonardo – er war Linkshänder – in Spiegelschrift. Die Papiere wurden später in elf zum Teil mehrbändigen Codices gebündelt; das Wort bedeutet schlicht Bücher. Der Codex Arundel ist online, ebenso Codex Forster I. Den Codex Leicester erwarb Bill Gates 1994 für 30,8 Millionen Dollar.

Von Leonardos Konstruktionen hat keine überlebt; die einzige Ausnahme könnte eine Ecke der Festung des schweizerischen Locarno sein, die ein Burgenspezialist ihm zuschrieb. Im Mai 1939 eröffnete in Mailand eine große Leonardo-Ausstellung mit Gemälden, Zeichnungen und zweihundert Modellen; diese basierten auf seinen Maschinen-Entwürfen. Einen kleinen Einblick gestattet die Wochenschau. Die Modelle wurden anschließend in New York und in Tokio gezeigt, beim Rücktransport nach Italien gingen sie im Zweiten Weltkrieg verloren.

Leonardos Auto aus dem Codex Atlanticus. Auf dem Zahnrad rechts unten erkennt man die sternförmigen Nocken für die Programmsteuerung.

Einer der Modellbauer war der Ingenieur Roberto Guatelli. Er stellte 1949 eine neue Ausstellung in Los Angeles zusammen. Sie erregte das Interesse von IBM-Direktor Thomas Watson senior; er kaufte alle Exponate und orderte außerdem bei Guatelli Nachbauten von Rechenmaschinen. Die Da-Vinci-Modelle tourten mit Erfolg durch die USA; danach wurden sie jahrelang in New York gezeigt. Einige stehen heute in Australien. 1952 präsentierte das Londoner Science Museum eigene Leonardo-Repliken; weitere entstanden in Italien.

Die Leonardo-Ausstellungen zeigten ein selbstfahrendes Dreirad, auch Leonardos FIAT genannt. Erst 1975 erkannte ein Experte, dass die zugrunde liegende Zeichnung falsch gedeutet worden war. Der Antrieb erfolgte nicht durch die abgebildeten elastischen Bögen, sondern durch versteckte Spiralfedern. Zweitens wies der Wagen eine Programmsteuerung auf. Sie bestand aus Nocken, die auf Zahnrädern saßen und den Lauf der Antriebsräder beeinflussten. Auf diese Weise konnte der antike FIAT Schlangenlinien fahren.

Die Skizzen im Codex Arundel könnten Elemente von Leonardos Roboter darstellen. Weitere Entwürfe enthält der Codex Atlanticus. (© British Library Board – Arundel 263 f. 42)

Damit war er ein früher mobiler Automat. Wie bei den meisten Entwürfen von Leonardo wissen wir aber nicht, ob er wirklich realisiert wurde. Denkbar wären Einsätze auf der Theaterbühne oder für Showeffekte unter freiem Himmel gewesen. Aus den 1510er-Jahren sind zwei Auftritte von künstlichen Löwen überliefert, die mit Leonardo in Verbindung gebracht wurden. Steckte vielleicht sein Wagen dahinter? In seinem Nachlass fand man allerdings nur Zeichnungen von normalen Löwen und von spielenden Hauskatzen.

1957 stieß der Kunsthistoriker Carlo Pedretti auf verstreute Skizzen im Codex Atlanticus, dem großen Leonardo-Konvolut der Biblioteca Ambrosiana Mailand. Sie deuteten auf eine bewegte Ritterrüstung, kurz, auf einen Roboter. Im Inneren saß eine Mechanik aus Rädern, Stangen, Rollen und Schnüren. Der Amerikaner Mark Rosheim und der Italiener Mario Taddei entwickelten die Theorie weiter. 2002 erstellte Rosheim ein Modell für die BBC – bitte zu Minute 31:00 des Videos gehen. Unser Eingangsbild zeigt eine Rekonstruktion, die 2005 in Berlin zu sehen war. Hier ist eine andere mit etwas mehr Teilen.

Leonardos einziger Ausflug in die Informatik ist die Multiplikationstafel des Codex Arundel. (© British Library Board – Arundel 263 f. 153)

Es stellt sich wieder die Frage, ob der Roboter-Ritter Papier blieb oder ob Leonardo ihn tatsächlich baute. Zutrauen können wir es ihm. Ganz sicher wissen wir, dass er sich mit Arithmetik und Geometrie befasste. Er war mit dem Mathematiker Luca Pacioli befreundet und entwarf Illustrationen für dessen Buch Divina Proportione. Ein Addiergerät hat Leonardo wahrscheinlich nicht erfunden. Daran glaubte der schon erwähnte Roberto Guatelli, der 1968 ein passendes Modell lieferte. Seine Hypothese setzte sich aber nicht durch.

Im Da-Vinci-Jahr gibt es größere und kleinere Ausstellungen über den Meister; die meisten Besucher erwartet ab 24. Oktober der Louvre in Paris mit beeindruckenden Gemälden. Am 3. Mai startet eine Ausstellung in Tübingen, am 18. Mai eine andere in Gießen. Schon seit März läuft die Leonardo-Schau in Stade; sie endet am 10. Juni. Zu sehen sind dort Modelle der Fachhochschule Bielefeld, die seit 2004 eine Leonardo-Werkstatt unterhält. Ab dem 10. November werden ihre Erzeugnisse in Bielefeld selbst präsentiert.

Leonardos Trommelautomat: das Programm steckt im Prisma links. (Foto DA VINCI 500 – Ein Projekt des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld)

Gegenwärtig arbeiten die Dozenten und Studenten am Leonardo-Roboter. Da sind wir schon gespannt, was herauskommt. Wir bedanken uns für die Erlaubnis, den in Bielefeld gebauten Trommelautomaten im Blog vorstellen zu können. We also thank the British Library for the permission to use the scans from Codex Arundel. Zur weiteren Lektüre empfehlen wir das Buch „Leonardo’s Lost Robots“ von Mark Rosheim, das 2006 im Springer-Verlag erschien.

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